So steht es um die Wälder in den polnischen Karpaten

Im Nachbarland fallen zusehends Bäume. Die Forstindustrie ist stolz auf ihre Nachpflanzungen und Waldschutzzonen. Doch in Wahrheit wird auch dort Profit mit Holz betrieben. Zu Besuch bei Waldbesetzer:innen in den Karpaten und einem Aussteiger aus der Forstindustrie, der nun seinen eigenen Urwald wachsen lassen will. 

Polen gilt als Brasilien Europas, im Positiven wie im Negativen: Einerseits gibt es dort noch viel unberührten Wald und einige Leute, die bereits sind, für diesen zu kämpfen. Andererseits wird dieser Wald zusehends abgeholzt und sogenannte Schutzzonen halten nicht, was sie versprechen. Als Journalist konnte ich mir im letzten Jahr selbst ein Bild davon machen – und wurde von der Forstindustrie im Nachhinein öffentlich angegriffen. 

Mit Hilfe des Internationalen Journalisten Stipendiums (IJP) war ich 2022 in Polen unterwegs. Durch Greenpeace Polska erhielt ich Einblick in ein Camp von Besetzer:innen im Wald von Bieszczadzki, Forstinspektion Lutowiska, Sektor 73, gelegen im südöstlichen Polen, kurz vor der Grenze zur Ukraine. Auch in diesem Jahr bereiten sich die rund 20 Personen der Initiative „Wilde Karpaten“ wieder auf einen harten Winter vor: Sie wollen den Wald vor der Abholzung bewahren und das Leben der Braunbären schützen, dazu haben sie unter anderem Baumhäuser errichtet. Ihr Camp wurde bereits mehrfach angegriffen. Einmal von vier betrunkenen Männern mit Baseballschlägern, die den Bulli zerstörten und eine Frau mit dem Schläger am Kopf verletzten.

Das Waldgebiet, für das sie kämpfen, sollte bereits vor 40 Jahren zu einem Nationalpark erklärt werden, aber es passierte nichts. Stattdessen begann die Abholzung. Sie würde nun durch den Protest weitestgehend unterbunden. Der 36-jährige Jakob „Kuba“ Rok arbeitet an der Universität in Warschau, er ist Dozent in Betriebswirtschaftslehre, und Teil der „Wilden Karpaten“. Er sagt, in Polen gebe es eine Bewegung „gegen die Abholzung und die Ignoranz der Regierung“.

Am 8. August 2020 wurde das erste Camp im Wald geräumt, etwa fünf Kilometer entfernt, „Nora 219a“, benannt nach seinem Sektor. Die Räumung kam ohne Ankündigung mit der offiziellen Begründung: Verdacht auf Drogenbesitz. Kuba sagt, in ihrem Camp seien Drogen verboten – natürlich auch Alkohol. Davon würden sie ohnehin nichts halten. Die Räumung ist lange her und die Zeiten friedlicher geworden: Die Polizei schaut noch immer ab und zu vorbei, erzählt Kuba. Er habe den Eindruck, dass die Bewegung mehr akzeptiert und auch von den Leuten in den Dörfern anerkannt wird. Die Aktivist:innen wollen so lange bleiben, bis hier ein Nationalpark entstanden ist.

© Robert Klages

Rafał Osiecki, Leiter des Forstbezirks Lutowiska, hält nicht viel von der Besetzung und sagt, die Aktivist:innen würden nicht verstehen wollen, dass jeder alte Baum mal ein junger Baum war – man müsse nachpflanzen. 

Immerhin werden die Bäume im Sektor 73 mit hoher Wahrscheinlichkeit bleiben. Als bekannt wurde, dass die Bärenhöhlen im Wald noch bewohnt sind, ging die „Stiftung Naturerbe“ gerichtlich gegen den drohenden Holzeinschlag vor und hat im September 2022 einen Erfolg vor dem Bezirksgericht errungen: Sektor 73 darf nicht abgeholzt werden. Der Lebensraum der Bären soll erhalten bleiben. Dies zeigt, dass es sich zu kämpfen lohnt.

Trotz dieser positiven Nachrichten sieht die Gesamtbilanz in Polen düster aus: das Land hat zwar insgesamt rund neun Millionen Hektar Waldfläche, aber nur rund ein Prozent davon ist als Nationalpark geschützt. Diese werden wohl tatsächlich in Ruhe gelassen, doch spricht Greenpeace von einer heimlichen Abholzung der Wälder, die an die Nationalparks grenzen – und das wiederum würde langfristig auch diese in ihrer Existenz bedrohen. 

„Die Nationalparks drohen, zu Inseln zu werden“, sagt Tomasz Nowak (Name geändert), ein Bärenwissenschaftler, der seit mehr als 20 Jahren ihr Leben in den Karpaten erforscht. „Sie allein sind zu klein für das Überleben von Wölfen, Bären und Wisenten. Die Tiere benötigen riesige Areale.“ Nowak will nicht, dass sein richtiger Name veröffentlicht wird, weil er keine Probleme mit dem Staatsforstbetrieb Lasy Państwowe, zu Deutsch: Nationale Wälder, bekommen möchte. Er fürchtet seine Entlassung.

Neben den Nationalparks gibt es sogenannte „Pufferzonen“ – hier ist Abholzung nicht illegal, obwohl die Wälder eigentlich geschützt werden sollen. Die „Stiftung Naturerbe“ spricht von „Scheinschutz“ und hat keinen Zweifel daran, dass Polen gegen geltendes EU-Recht verstößt – immerhin befindet sich der Sektor 73, der von der Abholzung bedroht ist, in einem von der EU besonders geschützten Natura-2000-Gebiet. Fortpflanzungs- und Ruhestätten von Braunbären müssen hier geschützt werden. Doch Osiecki vom Staatsforstbetrieb sagt, das europäische Recht verbiete nicht, forstwirtschaftlich tätig zu sein, selbst wenn Bären in einem Gebiet leben.

© Robert Klages

Die Frage ist allerdings, wie lange im Wald von Bieszczadzki überhaupt noch Wildtiere leben, wenn weiter abgeholzt wird. Laut des „Living Planet Reports“ 2022 der Naturschutzorganisation WWF ist die Population wildlebender Tiere weltweit seit 1970 um durchschnittlich 69 Prozent zurückgegangen. Europa ist eine der Regionen, die bei der „Unversehrtheit der biologischen Vielfalt“ am schlechtesten abschneidet.

Die Abholzung der Wälder Europas schreitet immer weiter voran – und Polen ist vorne dabei. Der Preis für Holz in Europa ist massiv gestiegen. In der EU allein im letzten Jahr um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, in Polen um fast 60 Prozent, wie die „Koalition für polnisches Holz“ berichtet.

Die staatliche Forstindustrie in Polen gibt an, nur einige wenige Bäume herauszuholen und „etwas Licht in den Wald“ zu bringen. Das sei notwendig, damit neue Bäume nachwachsen könnten. Außerdem würde der Betrieb die Natur schützen und jedes Jahr 500 Millionen neue Bäume im Land pflanzen. „Aber sie zerstören den Wald“, sagt Greenpeace. Wenn es nach der Naturschutzorganisation ginge, würde im Wald nicht aufgeräumt. Alles soll so bleiben, wie es die Natur gestaltet, die den Menschen nicht benötigt, um ihr Ökosystem zu regeln.

Ebenfalls in den Karpaten lebt der Biberwissenschaftler Andrzej Czech. Er hat sich vor mehr als 20 Jahren ein paar Hektar Wald gekauft – um diese so zu belassen, wie sie sind. Beim Spaziergang durch „seinen Wald“, erklärt der Biologie-Professor, dass tote Bäume liegengelassen werden sollten, das sei wichtig für die Diversität des Ökosystems. Es müsse auch kein „Licht geschaffen“ werden im Wald durch gezielte Abholzung.

Czech war selbst lange Zeit „Forest Guard“, Angestellter beim Staatsforstbetrieb in Polen und hat als solcher für „Licht im Wald“ gesorgt. Heute sieht er seinen früheren Arbeitergeber anders. „Forstwirtschaft bedeutet nichts weiter als Abholzung – der Rest ist Bullshit.“ Seine Frau und er haben sich ein Haus im Wald gebaut, mit Drohnen verscheucht er Jäger und er lebt überwiegend autonom von Solarenergie. Er ist nicht der einzige Aussteiger. Auch ein anonymer Twitter-Account berichtet seit Januar 2017 über die „Machenschaften des Forstbetriebs“ und spricht von „Profitgier“.

© Robert Klages

Tatsächlich ist der polnische Staatsforstbetrieb ein immenses Wirtschaftsunternehmen, das fast ein Drittel der Gesamtfläche Polens bewirtschaftet. Die Gehälter in der Forstwirtschaft sind gut, das lokale Ausbildungszentrum ist angesehen. 

Czech meint, viele Forstmitarbeiter:innen seien eigentlich gute Leute, aber sie wüssten nicht, in welche Industrie sie da geraten seien. „Sie meinen vielleicht, es sei okay, hier und da Bäume aus dem Wald zu holen, weil es ja noch so viel Wald gibt und sie neue Bäume pflanzen. Aber dadurch wird das System gestört und der Wald zerfällt. Die nachgepflanzten Wälder dienen nicht den Tieren, sondern sind einzig und allein Holz für die Industrie.“

Nachdem ich 2022 eine Reportage über die Wälder in Polen in der Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ veröffentlichte, wurde ich von der polnischen Staatsforstindustrie sowie einigen staatsnahen Medien öffentlich angegriffen. In einem Statement wirft mir Lasy Państwowe Lügen vor und stellt es so dar, als sei ich von Deutschland beauftrag worden, einen Bericht über die polnischen Bären zu schreiben. Einige konservative Medien griffen dies gerne auf, ohne mich um eine Entgegnung anzufragen. Lediglich die Zeitung „Gazetta Wybolcza“, eine der größten in Polen, bat mich um ein Interview, nachdem ich mich dort gemeldet hatte. Die Zeitung berichtet ebenfalls über die Abholungen und kennt die Problematik mit der Forstindustrie.

Robert Klages

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