Gesetzesänderung – Im Zweifel gegen den Wolf
Das Bundesumweltministerium beschließt den vereinfachten Abschuss von Wölfen. Wird ein Schaf gerissen, heißt es 21 Tage lang: Feuer frei. Lieber Wölfe jagen als Wälder schützen?
Es gibt wieder mehr Wölfe in Deutschland. Eine gute Nachricht. Allerdings hat das Bundesumweltministerium beschlossen, den Abschuss zu erleichtern. „Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland hat zu Konflikten und Herausforderungen geführt“, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Die Umweltministerkonferenz hat im Dezember beschlossen, dass 21 Tage lang und in einem Umkreis von einem Kilometer um den Tatort herum Wölfe erlegt werden dürfen, sobald ein Tier gerissen wurde.
Was genau „Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen“ sind, wird von den Ländern festgesetzt. Zudem muss ab sofort nicht mehr durch eine DNA-Analyse nachgewiesen werden, dass es sich um einen Wolfsbiss handelt. Es kann sofort geschossen werden. Die zuständige Behörde soll ermitteln, ob es sich um einen Wolf gehandelt haben könnte – durch Indizien und Fachkenntnisse, wie es heißt.
Ministerin Lemke dauerte die Genehmigung für einen Abschuss bisher zu lange. Denn mit wachsenden Wolfspopulationen würden die Risse zunehmen.
Das ist spekulativ: nur, weil es wieder mehr Wölfe gibt, heißt das nicht, dass diese sogleich mehr Schafe und andere Weide- oder Nutztiere angreifen. Eine Milchmädchenrechnung. Lemke vergisst den Faktor Wald: Wenn es ausreichend Wald geben würde, in dem Wölfe ihr Territorium ablaufen können, würde der Mensch die Wildtiere wohl kaum zu Gesicht bekommen. Aber der Mensch verkleinert den Lebensraum von Wölfen zusehends.
Und ist es nicht eigentlich die Aufgabe der Bauern und Halter:innen von Nutztieren, ihren Bestand dementsprechend zu schützen, sprich Zäune aufzustellen und diese regelmäßig zu kontrollieren?
Nun dürfen also innerhalb von drei Wochen alle im Umkreis des Tatorts auftauchenden Wölfe geschossen werden. Vielleicht sogar ganze Rudel, Jungtiere und zufällig vorbeiziehende Wölfe? Was geschieht bei einem Fehlabschuss, wenn nicht der „Problemwolf“ getötet wurde?
Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung, fordert im GEO-Magazin, dass bundesweit festgelegt werden müsse, wie viele dieser Einzelfälle von Wolfabschüssen es maximal pro Jahr geben dürfe. Die Zahl solle sich daran orientieren, dass sich der günstige Erhaltungszustand nicht verschlechtere oder aber dessen Erreichung nicht gefährdet sei.
Umweltministerin Lemke betont zwar, der Wolf gehöre in „unsere Landschaft“, aber genau hier besteht der Fehler: Der Wolf gehört in den Wald, in sein natürliches Habitat. Und wenn es den nicht mehr gibt, wird der Wolf für den Menschen und seine Schafe gefährlich. Aber das Bundesumweltministerium lässt lieber Wölfe jagen als Wälder schützen.
In Deutschland leben 184 Wolfsrudel und damit mehr als bei der vergangenen Zählung. 2022/23 wurden laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) 47 Wolfspaare sowie 22 sesshafte Einzelwölfe bestätigt worden, teilte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit.
Unter Umständen kann der Wolf auch Schafe und Schäfer schützen. 2019 berichtete ich über den Schäfer Frank Neumann in der Lausitz und seinen 2000 Tieren. Die Schafe waren in einem Wolfsterritorium beheimatet und durch einen Elektrozaun gesichert. Die Wolfseltern haben das bereits schmerzhaft erfahren – und geben das Wissen an die Jungtiere weiter, welche sich nicht mehr der Schafherde nähern. „Das Schaf tut weh“, wüssten die Jungtiere von den Eltern, erzählt Neumann. Die Tiere nähern sich also keinen Schafen mehr, egal, ob diese eingezäunt sind oder nicht.
Gefährlich für die Schafe und die Tiere auf dem Hof wären nur Wanderwölfe, so Neumann, frisch ausgezogene Jungtiere auf der Suche nach Nahrung im Unwissen über den Elektrozaun. Deswegen hatte Neumann über viele Jahre ein System aufgebaut – mit Hilfe einer Wolfsfamilie. Denn Tiere auf Wanderschaft erkennen das Gebiet einer funktionierenden Familie an Kratzspuren, Urin-Markierungen und Geheul. Sie ziehen dann schnell weiter und siedeln sich dort nicht an – oder dringen teilweise gar nicht in das Territorium ein. Dieses System funktioniert nur, wenn ausreichend Wald zur Verfügung steht und es Territorien gaben kann.
Das neue Abschussgesetz könnte auch vollkommen nach hinten losgehen und das Gleichgewicht der Natur massiv zerstören. Sollte ein Wolf aus einer Familie geschossen werden, im schlimmsten Fall der Leitwolf, zerbricht die Familie. Wird die Mutter geschossen, können sich die Jungtiere nicht mehr ernähren – sie sterben entweder oder suchen sich verzweifelt das nächstbeste Tier zum Reißen.
Und wenn eine Wolfsfamilie zerbricht, können Wanderwölfe in das eigentlich etablierte Gebiet der zerstörten Familie kommen und sich mit Fähen und Nachwuchs paaren. „Das Gleichgewicht des Territoriums ist dann gestört. Die Wölfe regulieren sich selbst, das muss der Mensch nicht machen“, sagt Schäfer Neumann. Er hat unterdessen keine Schafe mehr: auf seinen eins 2500 Hektar in der Lausitz wurde ein Braunkohletagebau errichtet. Er wurde entschädigt, die Schafe geschlachtet und die Wölfe vertrieben. Das hat nicht die Natur, sondern der Mensch geregelt.
Robert Klages