Zum weltweiten Tag der Flüsse – Nah am Wasser gebaut?
Am 22. September ist weltweiter Tag der Flüsse. Ein letzter echter Wildfluss fließt in Albanien, ansonsten wurde in Europa begradigt, ausgetrocknet und verseucht. Nach dem Fischsterben in der Oder vor zwei Jahren folgten keine Konsequenzen. Trotzdem kommt es zu Hochwasser und Schäden an Häusern. Selbst schuld, sagt die Versicherungswirtschaft.
So, wie es in Europa kaum bis keine echten Urwälder mehr gibt, existieren auch keine Wildflüsse mehr. Am 22. September ist weltweiter Tag der Flüsse, wie jedes Jahr seit 2005. „Gewässer sind Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere, sie tragen damit zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei“, schreibt das Bundesumweltministerium dazu. „Wir müssen daher den Schutz und die Nutzung der Gewässer so weit wie möglich in Einklang bringen.“
So einen „Einklang“ kann es wohl kaum geben. Für Wald und Wasser gilt: einfach mal in Ruhe lassen. Aber der Mensch hat die Flüsse begradigt, begrenzt und trockengelegt. Wasserkraftwerke, Stauseen und Ölbohrungen machen den Flüssen zu schaffen. Die Spree durch Berlin ist mehr ein Abwasserkanal als ein Fluss, und seit dem Fischmassensterben in der polnischen Oder im Sommer 2022 hat sich nichts geändert.
Umweltorganisationen, Regierungen und Politiker:innen wollten der Sache auf den Grund gehen und Polen daran hindern, weiterhin Abwässer mit erhöhtem Salzgehalt und Brackwasser in die Flüsse zu leiten. Auch die Regierung Polens zeigte sich offen für Veränderungen – diese sind bis jetzt aber nicht eingetroffen. Im Gegenteil: weiterhin werden massiv hoch toxikologische Abwässer der Industrie unkontrolliert in die Flüsse geleitet. In Polen wie in ganz Europa.
Es wird weiterhin nur unzureichend geprüft, was in die Flüsse und ins Grundwasser kommt. Dringend müssten die Regelungen zur Einleitung in die Flüsse verstärkt, am besten auf ein Minimum an Salzgehalt gesenkt werden. Aber wie so oft geht Wirtschaft vor Natur: die Konzerne müssten ihre Abwassersysteme verbessern oder eine europaweite Kommission diese überprüfen – aber dafür will niemand Geld ausgeben.
Der wohl letzte Wildfluss des Kontinents, die Vjosa, wurde erst 2020 in Albanien unter Naturschutz gestellt. Griechenland muss noch nachziehen. Bislang konnte sich hier ein einzigartiges Ökosystem entwickeln – ungestört von menschlichen Einflüssen. Doch Bauvorhaben drohten, den wertvollen Lebensraum für immer zu verändern, gar nachhaltig zu zerstören – im Balkan entstehen immer mehr Wasserkraftwerke entlang der Flüsse. Immerhin Albanien hat am 15. März 2023 die Vjosa zum ersten Wildflussnationalpark Europas erklärt. Damit er auch weiterhin ungezähmt fließen kann.
Wilde Flüsse gab es natürlich auch in Deutschland. Die Isar zwischen Krün und Sylvensteinspeicher gilt als verzweigte Flusslandschaft im alpinen Raum, die noch nicht zerstört wurde – allerdings ist der Naturraum stark bedroht.
Flüsse zu begradigen hat in Deutschland Tradition. Der Rhein, einst durchs Land mäandrierend und wild, wurde bereits bis 1876 gezähmt, es sollten Schiffe für den Handel darauf besser fahren können. Die Natur litt darunter, viele Auenwälder starben ab, Fische konnten nicht mehr überleben und Vögeln fehlte die Nahrung. Ursprüngliche Naturlandschaften wurden weitgehend beseitigt; nur an wenigen Stellen sind noch Relikte der ehemaligen Rheinschleifen vorhanden.
Derzeit kommt es zu zahlreichen Hochwasserkatastrophen, zum Beispiel in Österreich und Tschechien. Straßen sind überflutet und Dörfer müssen evakuiert werden. Wurden diese Gebäude zu nah am Wasser gebaut oder hatte man nicht damit gerechnet, dass die Flüsse derart heftig über die Ufer treten können?
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat ein Bauverbot in Überschwemmungsgebieten gefordert. Laut einer kürzlich vom GDV veröffentlichten Untersuchung sind mehr als 300.000 Adressen in Deutschland hochwassergefährdet. Es sei absolut fahrlässig, in Gebieten zu bauen, wo mit Hochwassern gerechnet werden kann. Die GDV findet, es sollte verboten werden, Bauland auszuweisen.
EU‑Mitgliedsstaaten müssen Überschwemmungsgebiete ausweisen, in denen dann künftig nicht gebaut werden sollte. Wirklich ernst genommen wird das nicht, Bauland am Wasser ist besonders beliebt und hochpreisig, Häuser an Flüssen gelten oftmals als Filetgrundstücke. Zudem befinden sich auf diesen Gebieten bereits seit Jahrzehnten Menschen und ihre Behausungen. Nach deutschem Recht genießen diese Bestandsschutz. Es ist wie immer: Warum müssen die Flüsse für den Menschen weichen und begradigt werden? Könnte nicht der Mensch der Natur Platz machen und die Flüsse so groß werden lassen, wie die Natur selbst es bestimmt?