Nationalpark Hainich in Thüringen – Kein Urwald!

Viele Familien und Schulklassen erleben im Nationalpark Hainich „echten Urwald“. Handelt es sich um Etikettenschwindel? In Deutschland gibt es keine Urwälder. Der Hainich will erst noch zu einem werden. Ein Besuch vor Ort.

Der Hainich in Thüringen ist der kleinste Nationalpark Deutschlands mit 75 Quadratkilometern Buchenwald. „Urwald mitten in Deutschland“, heißt es vor Ort und auf der Website, Familien und Schulklassen kommen zahlreich. Handelt es sich hier um Etikettenschwindel? Denn schließlich gibt es in Deutschland bekanntlich (leider) keinen einzigen Quadratmeter echten Urwald mehr. 

Erst, wer genauer liest, stellt fest: der Hainich will erst noch zu einem Urwald werden. Dazu soll die Fläche nicht bewirtschaftet und „der Natur überlassen werden“. Der Hainich sei immerhin „eines der größten zusammenhängenden Laubwaldgebiete Mitteleuropas.“ Ja, aber kein Urwald. Das dauert noch gute 200 Jahre. Bevor das Gebiet 1997 zum Nationalpark erklärt wurde, war der Wald teilweise ein Truppenübungsplatz.

Dass viele Menschen denken, der Hainich sei ein Urwald, liegt auch an Medienberichten. „Der Hainich – Thüringens Urwald“ heißt zum Beispiel eine Tierdokumentation des MDR aus dem Jahre 2023, die sich auch auf der Mediathek der ARD befindet. Letztes Jahr feierte der Nationalpark sein 25-jähriges Bestehen.

Wird der Hainich sprachlich zum Urwald erklärt? In der Dokumentation selbst wird er so nicht genannt, lediglich am Ende ist die Rede von „Deutschlands größtem Buchenurwald“. Dass es eben noch kein Urwald ist, wird nicht gesagt. Wer sich die Dokumentation anschaut, erhält klar den Eindruck, dass es sich beim Hainich um einen Urwald handelt. Das liegt auch an unklaren Formulierungen wie: „… in einem Urwald typisch …“ oder „Regen ist wichtig im Urwald“. Am Anfang wird gesagt, es handele sich um „eine der letzten Landschaften mit Urwaldcharakter“. Trotzdem entsteht beim passiven Zuschauen der Eindruck, hier werde über einen Urwald in Deutschland berichtet. Es ist eine typische Vermarktungsmasche: Urwald in Deutschland, das kommt gut an. Nur bleibt es auch weiterhin falsch – noch für viele Jahre.

Robert Klages

Besser macht es der MDR in einem kürzeren Beitrag vom 18. Januar dieses Jahres: „Seit 25 Jahren ist der Hainich auf dem Weg zum Urwald“, heißt es da gleich am Anfang. Auch Nationalparkleiter Manfred Großmann spricht von einem „Wald, der sich auf dem Wald zum Urwald befindet“. Auf 90 Prozent der Fläche werde nicht mehr eingewirkt, abgestorbene Bäume bleiben liegen. 

Seit 2011 ist der Hainich Unesco-Weltnaturerbe. 4875 Hektar in der Kernzone des Nationalparks gehören zu den von der European Wilderness Society zertifizierten „WILDForest-Gebieten“.

„Es ist die größte nutzungsfreie Laubwaldfläche Deutschlands“, heißt es auf Wikipedia. Dabei werden große Teile des Waldes durchaus genutzt: Als Erholungsgebiet. Immerhin 21 Wanderwege führen hindurch, 2023 besuchten rund 320 000 Menschen den Hainich. Über 7 Millionen waren es bisher insgesamt. Über 100 Veranstaltungen soll es in diesem Jahr geben. Die Region profitiert natürlich auch finanziell von ihrem „Urwaldgebiet“. Immerhin kann sie sich „Welterberegion Wartburg Hainich“ nennen. 

Ein Besuch vor Ort gibt Aufschluss: „Ach, das ist kein Urwald hier?“, sagt eine Familie aus Marburg. Sie wollten „Urlaub und Abenteuer im Urwald machen“. Und sicherlich gibt es im Hainich viel zu erleben und zu lernen, auch, wenn es sich nicht um einen Urwald handelt: Wege führen die Besucher:innen durch den Wald, es gibt ein großes Informationszentrum, einen Aussichtsturm, Baumwipfelpfad, Hotel sowie ein Restaurant. Dort wird man von einem Roboter bedient, was Kinder erfreut. 

Täglich besuchen Menschen den Park und denken, sie stünden in einem Urwald. Das Informationszentrum und die Wege sind informativ gemacht, Kinder lernen hier spielerisch viel über den Wald. Zum Beispiel, dass Deutschland einst mit Buchenwäldern bedeckt war – heute gibt es nur noch 5 Prozent Buchenwälder. 

„Es war einmal ein Urwald…“ heißt es in den Spitzen des Baumkronenpfades auf einer Informationstafel. Klar, hier war früher mal ein echter Urwald. Den gab es aber genau so früher mal überall anders, außerhalb der Grenzen des Hainich. Der Hainich „wird heute wieder langsam zum Urwald“. Man könnte also allerhöchstens sagen, Besucher:innen stünden in einem zukünftigen Urwald. Und das ist ja auch schon mal was. Oder in einem „naturbelassenen Wald“, was auch schön ist. Kinder stellen sich „Urwald“ oftmals ohnehin anders vor: mit Löwen und Lianen zum Beispiel. 

Im Bundesnaturschutzgesetz wurde 2002 festgeschrieben: „Nationalparks haben zum Ziel, im überwiegenden Teil ihres Gebiets den möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten“. Weltweit gibt es heute fast 3.900 Nationalparks nach IUCN-Kriterien (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources). Im Hainich heißt es: „Zum Glück wächst immer mehr das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, diese Oasen der Wildnis für die Natur selbst und auch für nachfolgende Generationen zu bewahren.“ 

Der erste Nationalpark überhaupt war der Yellowstone Nationalpark in den USA (1872). Schon der Grundgedanke war es immer, Natur zur Erholung und Freude der Menschen bereitzustellen. Die Ansiedlung wilder Tiere macht dies schwierig, besonders in einem so kleinen Nationalpark wie dem Hainich. Solche Parks sind schön für ein kurzzeitiges Naturerlebnis und um Wissen über Wälder und deren Verlust in die Gesellschaft zu transportieren. Löwenzahn statt Löwen und Lianen für die Kinder. Aber immerhin. 

Robert Klages

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